Dienstag, 3. April 2018

Tante Anni

Wie kam ich noch gestern auf Tante Anni? Ach ja, Bergbau, Besuch des Industriemuseums Zeche Zollern in Dortmund. Zum ersten Mal konnte ich auf einen Förderturm klettern und sehen, wo die Körbe und Loren beladen und an dicken Stahlseilen in einige hundert Meter Tiefe bzw. heraufgebracht wurden. Und ich bin doch in einer Bergarbeiterfamilie aufgewachsen, nämlich bei meinen Großeltern, weil mein Vater nicht aus dem Krieg zurückgekommen ist, irgendwo verscharrt im Süden der Ostfront, bei Merefa in der Ukraine.  Mehr als vierzig Jahre hat mein Großvater in einer Zeche unter Tage gearbeitet. Nicht nur, wenn ich Fördertürme, sondern auch diese Loren sehe, denke ich an ihn. Wie er mir erzählte, dass die Kohle in der Lore transportiert und von ihm geschoben wurden zum Beispiel. Lore. Das war doch kein Wagen, sondern eine Frau, die ich kannte. Mein Großvater hatte Schwierigkeiten, mir das zu erklären. Und meine Tante Anni wohnte auch in dem kleinen Häuschen mit zwei Schlafzimmern und Küche mit Herd, Esstisch, Spülstein, Küchenschrank und Sofa. Sie war die jüngste Schwester meiner Mutter und für meine Großeltern ein ständiges Ärgernis, weil sie in seltsamen Lokalen verkehrte und von seltsamen Typen verfolgt wurde, auch mal tagelang weg blieb ohne sich zu melden. Man kann wohl sagen, dass sie im nuttigen Milieu unterwegs war. Es kam vor, dass sie mitten in der Nacht nach Hause kam, sich ins Bett legte, im Schlafzimmer, das sie mit meiner Mutter und mir teilte und draußen ein Freier gegen Tür und Scheibe klopfte. Im Nachhinein denke ich, sie war als ganz junges Mädchen bei der Naziorganisation BDM (Bund Deutscher Mädchen). Oft erzählte sie mir von Berlin, wo es schon eine Rolltreppe gab. Das mit der Rolltreppe war für mich genauso unverständlich wie die Geschichte mit der Lore und ich konnte dann wohl ganz schön mit Fragen löchern. Manchmal nahm Tante Anni mich Nachmittags mit in die Stadt, zog mir das schönste Kleidchen an, egal wie das Wetter war, setzte mich in ihrer Kneipe auf einen Barhocker, ließ mich von den Freiern mit Limo und Sprüchen verwöhnen und brachte mich dann zu meiner Mutter in den Laden, damit sie mich wieder mit nach Hause nehmen konnte. Ach ja, wenn sie wegwollte, machte sie sich natürlich immer schick, meine Tante Anni. Da kam es auch mal vor, dass sie Sachen von meiner Mutter nahm. Dazu gab es viel Streit zwischen den beiden. Einmal flogen sogar Teller durch die Küche. Meine Oma hatte manchmal den Gedanken, Tochter Anni rauszuschmeißen. Dann wurde sie immer von Opa in Schutz genommen, der dann damit argumentierte, dass sie doch nach dem Bombenangriff tüchtig Steine aus den Trümmern abgeklopft hatte, damit man wenigstens dieses kleine Häuschen mit Flachdach wieder aufbauen konnte.

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