Donnerstag, 26. April 2018

Madame Fleischhauer

Madame Fleischhauer, französisch ausgesprochen (Fleischhöhäär oder so ähnlich), war zu Zeiten der Oberstufe des Hammer Mädchengymnasiums meine Nachhilfelehrerin in Französisch. Mir fehlte nämlich fast die gesamte Mittelstufe, weil ich die Realschule besucht hatte. Also Madame Fleischhauer wohnte in Hamm-Werries in einer gediegenen Altbauwohnung, die auf mich wirkte wie ein Museum mit wunderschönen alten Sachen. Sie war Witwe und musste sich wohl das Geld dazu verdienen, obwohl sie schon über achtzig war und kaum noch sehen konnte. Allerdings war sie immer tiptop angezogen, geschminkt und gestylt, wenn sie in der City aus dem Bus stieg und mit dem Stock auf dem Gehweg langstakste zu ihrem Unterrichtsraum. Das war ein kleiner Raum in der Gaststätte "Alt Hamm" an der Ecke Nordstraße/Nordenwall, sicherlich eins der ältesten Häuser in Hamm. Jedenfalls bin ich sehr gern in ihren Unterricht gekommen. Es war nie langweilig, wenn ich die französischen Verben rauf- und runterkonjugieren musste, sie mir die Zeitformen aufschrieb und mir hin und wieder ein Histörchen aus ihrer Pariser Vergangenheit erzählte. Sie war nämlich Schauspielerin an der Comedy Francaise gewesen. Nach mir kam oft ein Schüler des Jungengymnasiums in den Unterricht, Sohn vom Doktor Ochs. Dann meinte sie oft am Ende des Unterrichts: "Der Böff (Boeuf = französich für Ochse) kommt gleich." Wenn ich an sie denke, ist mir besonders ihr knallrot geschminkter Mund in Erinnerung und die Lippenstiftreste an ihrer Teetasse. Ja, sie bestellte immer Tee und hantierte dann umständlich mit Teeglas, Zucker, Keks und Löffel herum. Herrlich diese Frau.

Samstag, 7. April 2018

Angelus

Sechs Jahre Nonnenschule. Täglich Punkt 12 Uhr läutete die Kirchenglocke von St. Agnes unmittelbar neben dem Schulgebäude. Mit dem ersten Ton sprangen wir alle auf und ein Mädchen musste vorbeten. Ich glaube, es wurde "Gegrüßet seist du Maria" gebetet. Ja, eine von uns musste vorbeten und wir anderen mussten weiterbeten.

Donnerstag, 5. April 2018

Fitti

Fitti war eine Episode während meiner Zeit zwischen den zwei Ehen. Ich kannte ihn aus Mannis Kneipe hier im Weg. Gemeinsame Aktivitäten beschränkten sich auf nächtliche Besuche zweier Lokale auf der Hammer Meile (Südstraße), Hardys Bar und vor allem die Myr-Bar. Da musste man erst einmal einen mächtigen Türsteher passieren, was natürlich für Fitti gar kein Problem war. Er war bekannt. Ein Bier kostete 8 DM und wurde sofort ausgewechselt, wenn es nicht mehr schäumte. Eine kleine Bühne war in dieser Myr-Bar. Von Zeit zu Zeit ertönte Santanas "Jingle", öffnete sich der Vorhang, Spotlight, eine kleine Frau tanzte heraus und warf nacheinander ihre knappen Kleidungsstücke ab, bis ein richtig schöner Körper zum Vorschein kam. Faszinierend fand ich die kleine Vorstellung, wunderte mich aber, dass sie von den Männern gar nicht so beachtet wurde. Fitti war etliche Jahre älter als ich, hatte zwei erwachsene Töchter und wohnte allein in dem Häuschen an der Bahn gegenüber von Mannis Kneipe. Seine Maria, genannt Mary, war schon sehr früh gestorben. So verbrachte er die Abende bei Manni und die Wochenenden bei Lotti, einer Witwe mit Häuschen. Einmal haben wir sogar zusammen den Garten von meiner Mutters Häuschen, in dem ich ja wohnte, bearbeitet. Da war er Fachmann, hatte nämlich einen Gartenbaubetrieb gehabt, aber insolvent geworden.
Manni ist längst tot, hatte irgendwann ein Alkoholproblem, Frau und Tochter zogen aus und er konnte die Kneipe nicht mehr länger halten. Fitti ist erst vor ein paar Wochen gestorben, zum Schluss war er wohl ein bisschen durch den Wind, konnte nicht mehr alleine leben und kam in ein Heim.

Dienstag, 3. April 2018

Tante Anni

Wie kam ich noch gestern auf Tante Anni? Ach ja, Bergbau, Besuch des Industriemuseums Zeche Zollern in Dortmund. Zum ersten Mal konnte ich auf einen Förderturm klettern und sehen, wo die Körbe und Loren beladen und an dicken Stahlseilen in einige hundert Meter Tiefe bzw. heraufgebracht wurden. Und ich bin doch in einer Bergarbeiterfamilie aufgewachsen, nämlich bei meinen Großeltern, weil mein Vater nicht aus dem Krieg zurückgekommen ist, irgendwo verscharrt im Süden der Ostfront, bei Merefa in der Ukraine.  Mehr als vierzig Jahre hat mein Großvater in einer Zeche unter Tage gearbeitet. Nicht nur, wenn ich Fördertürme, sondern auch diese Loren sehe, denke ich an ihn. Wie er mir erzählte, dass die Kohle in der Lore transportiert und von ihm geschoben wurden zum Beispiel. Lore. Das war doch kein Wagen, sondern eine Frau, die ich kannte. Mein Großvater hatte Schwierigkeiten, mir das zu erklären. Und meine Tante Anni wohnte auch in dem kleinen Häuschen mit zwei Schlafzimmern und Küche mit Herd, Esstisch, Spülstein, Küchenschrank und Sofa. Sie war die jüngste Schwester meiner Mutter und für meine Großeltern ein ständiges Ärgernis, weil sie in seltsamen Lokalen verkehrte und von seltsamen Typen verfolgt wurde, auch mal tagelang weg blieb ohne sich zu melden. Man kann wohl sagen, dass sie im nuttigen Milieu unterwegs war. Es kam vor, dass sie mitten in der Nacht nach Hause kam, sich ins Bett legte, im Schlafzimmer, das sie mit meiner Mutter und mir teilte und draußen ein Freier gegen Tür und Scheibe klopfte. Im Nachhinein denke ich, sie war als ganz junges Mädchen bei der Naziorganisation BDM (Bund Deutscher Mädchen). Oft erzählte sie mir von Berlin, wo es schon eine Rolltreppe gab. Das mit der Rolltreppe war für mich genauso unverständlich wie die Geschichte mit der Lore und ich konnte dann wohl ganz schön mit Fragen löchern. Manchmal nahm Tante Anni mich Nachmittags mit in die Stadt, zog mir das schönste Kleidchen an, egal wie das Wetter war, setzte mich in ihrer Kneipe auf einen Barhocker, ließ mich von den Freiern mit Limo und Sprüchen verwöhnen und brachte mich dann zu meiner Mutter in den Laden, damit sie mich wieder mit nach Hause nehmen konnte. Ach ja, wenn sie wegwollte, machte sie sich natürlich immer schick, meine Tante Anni. Da kam es auch mal vor, dass sie Sachen von meiner Mutter nahm. Dazu gab es viel Streit zwischen den beiden. Einmal flogen sogar Teller durch die Küche. Meine Oma hatte manchmal den Gedanken, Tochter Anni rauszuschmeißen. Dann wurde sie immer von Opa in Schutz genommen, der dann damit argumentierte, dass sie doch nach dem Bombenangriff tüchtig Steine aus den Trümmern abgeklopft hatte, damit man wenigstens dieses kleine Häuschen mit Flachdach wieder aufbauen konnte.

Pisten immer da

Pisten sehe ich vor mir, Kurve oberhalb von Arraba, immer viele Skifahrer an der engen steilen Stelle, Schneeverschiebungen und etwas vereis...